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Kritik der Bundesverkehrswegeplanung
von
Gerrit Schrammen
24.
Juli 2000
0 Vorbemerkung
Der vorliegende Text versucht einen
Überblick über das Thema Bundesverkehrswegeplanung und die verschiedenen
Ansätze zur Kritik zu geben. Dabei werden einige Punkte naturgemäß
ausführlicher als andere behandelt. Konkrete Verkehrsprojekte sind nicht
Gegenstand der folgenden Auseinandersetzung. Die Kritik richtet sich gegen das
Instrument des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) insgesamt und die ihm zugrunde
liegenden politischen Entscheidungen und wissenschaftlichen Untersuchungen.
Ansatz für die Kritik ist dabei der immer noch gültige Bundesverkehrswegeplan
1992, die aktuellen Entwicklungen seit der Bundestagswahl 1998 sind nur z.T.
berücksichtigt.
Innerhalb der Bundesverkehrswegeplanung
nimmt der jeweils aktuelle BVWP eine zentrale Stellung ein. Ein Bundesverkehrswegeplan
ist ein langfristiger Investitionsrahmenplan des Bundes für seine Verkehrswege.
Darunter fallen Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen), die
Schienenwege des Bundes (mehr als 90 % des Gesamtbestandes) sowie die
Bundeswasserstraßen. Darüber hinaus enthält der aktuelle BVWP'92 auch Aussagen
zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, zum Luftverkehr und zur
"Verknüpfung der Verkehrssysteme".
Da der BVWP lediglich vom Kabinett
beschlossen wird, ist er nur für die Regierung und die nachfolgenden
Verwaltungen bindend; ihm kommt aber keinerlei rechtlicher Status zu. Rechtlich
verbindlich dagegen sind die Bedarfspläne für Bundesfernstraßen und
Schienenwege, die als Anhang (für Bundesfernstraßen als Karte) den jeweiligen
Ausbaugesetzen beigefügt sind und von Bundestag und Bundesrat beschlossen
werden. Diese Bedarfspläne enthalten alle im Geltungszeitraum des aktuellen
BVWP geplanten Neu- und Ausbaumaßnahmen, wobei ausdrücklich nur der Bedarf für
eine Verbindung von A nach B, aber nicht die konkrete Trasse festgelegt wird.
Aus den Bedarfsplänen heraus ergibt sich der Auftrag an die Verwaltungen zu
Planung und Bau der geplanten Maßnahmen.
Indirekt erlangt somit der BVWP in wesentlichen
Teilen doch eine rechtliche Verbindlichkeit. Diese gesetzliche Feststellung des
Bedarfs der einzelnen Maßnahmen ist aus demokratischer Sicht allerdings höchst
bedenklich. Klagen gegen geplante Maßnahmen können den Bedarf selber nicht mehr
in Frage stellen. Zumindest theoretisch ist dieser aber nur ein Belang unter
anderen und kann deshalb auch bei der Abwägung unberücksichtigt bleiben.
In welche Projekte wann innerhalb des
Gültigkeitszeitraumes eines BVWP tatsächlich investiert wird, legen für
Schienenwege und Fernstraßen in einem Zwischenschritt jeweils Fünfjahrespläne
fest, in denen ähnlich dem BVWP feste Summen für den Zeitraum genannt werden,
die aber nicht auf einzelne Jahre aufgeteilt sind. Die Realisierung einer
Maßnahme erfolgt nur bei Vorhandensein der Baureife (durch einen
Planfeststellungsbeschluss oder einen Bebauungsplan) nach Maßgabe der jährlich
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Alle Maßnahmen stehen somit unter
einem Haushaltsvorbehalt - die endgültige Mittelfreigabe erfolgt auf der
Grundlage des jährlichen Bundeshaushaltsplanes.
|
Gesamtinvesti-tionen
1991 - 2012 |
davon
Investitionen für Neu- und Ausbau |
|||
|
Mrd. DM |
% |
Mrd. DM |
% von Gesamt |
% von Neu-
und Ausbau |
Schienennetz |
213,6 |
39,7 |
118,3 |
22,0 |
48,8 |
Bundesfernstraßen |
209,6 |
38,9 |
108,6 |
20,2 |
44,7 |
Bundeswasserstraßen |
30,3 |
5,6 |
15,7 |
2,9 |
6,5 |
Summe |
453,5 |
84,2 |
242,6 |
45,1 |
100 |
Geld, das nicht in den Neu- und Ausbau fließt,
wird zum Großteil für die Erhaltung der bestehenden Verkehrswege benötigt. Da
diese Summe jährlich größer wird, nimmt der jährliche Spielraum für Neu- und
Ausbau beständig ab. Bei den Fernstraßen werden für den Erhalt nur etwa 50% der
eigentlich notwendigen Investitionen dafür zur Verfügung gestellt, während bei
der DB nach neuesten Aussagen von Bahnchef Mehdorn fast die gesamten
Investitionen in das Bestandsnetz fliessen sollen.
Bei den Gesamtinvestitionen wurden die Finanzhilfen
nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgestz (GVFG) nicht dargestellt, da diese
nicht direkt Gegenstand des BVWP sind, sondern nur nachrichtlich übernommen
werden. Diese Gelder in Höhe von 82,6 Mrd. DM für den selben Zeitraum (der
Gültigkeit des BVWP’92) dienen, wie der Name andeutet, der Verbesserung der
Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Seit 1997 stehen konstant 3,28 Mrd. pro
Jahr für Investitionen in den ÖPNV und in das Straßennetz zur Verfügung. Bis
auf einen 20%-Anteil für Investitionen in Schienenprojekte „mit
zuwendungsfähigen Kosten über 100 Mio. DM“ (sog. Bundesprogramm) steht den
Ländern die Verwendung auf Straße oder Schiene frei, weshalb es zu großen
Unterschieden zwischen den Ländern kommt. So stellt z.B. Sachsen nur 10% der Mittel
für den ÖPNV bereit, während es in Berlin 75% sind.
Aufgrund dieser Tabelle könnte man nun
den Eindruck haben, das mehr Geld für Schienenwege als für Straßen ausgegeben
wird. Dem ist aber leider nicht so:
1. Seit dem Jahr
1996 übersteigen die Investitionen des Bundes für Bundesfernstraßen die in
seine Schienenwege: Seit 1997 liegt die Differenz annähernd konstant bei 1,5
Mrd. DM. Laut mittelfristiger Finanzplanung hat sich diese Differenz im Jahr
2000 auf 8.262 zu 6.797
Mio. DM verringert, das sind 1.466 Mio DM mehr für Straßenbau als für die
Schiene. 2001 soll sich diese Differenz um ca. 200 Mio verringern, doch bei
diesen Schritten wird die von rot-grün versprochene Angleichung (s.u.) wohl
erst in der übernächsten Legislaturperiode erreicht werden.
2. Das Gegenargument
des alten BMV unter Wissmann war, dass diese Differenz durch den Eigenanteil
der DB AG mehr als ausgeglichen wird. Doch dies sind keine Investitionen des
Bundes im eigentlichen Sinn (auch wenn die DB AG im Besitz des Bundes ist), da
die DB AG sich das Geld selber beschaffen muss. Nur durch diesen Trick konnte
aber der Ex-Verkehrsminister noch vor seiner Abwahl verkünden, dass seit der
Wiedervereinigung bis Ende 1998 mit 74 Mrd. DM mehr in den Schienenbereich als
in die Bundesfernstraßen mit 71 Mrd. DM investiert wurden (bei 9 Mrd. DM für
die Bundeswasserstraßen). In den acht Jahren von 1991 bis 1998 wurde mit
insgesamt 154 Mrd. DM (plus 46 Mrd. DM weitere - vor allem GVFG- Mittel) etwas
mehr als ein Drittel der o. g. Gesamtinvestitionssumme von 453,5 Mrd. DM (für
einen Zeitraum von 23 Jahren) ausgegeben.
3. Diese Aussagen
zu Investitionen gelten nur für den Bund. Schienenwege werden aber - anders als
Straßen - fast ausschließlich von der DB AG und damit indirekt vom Bund gebaut.
Insgesamt betreibt der Bund mit über 90 % der für den öffentlichen Verkehr
genutzten Schienenwege praktisch das gesamte deutsche Schienennetz. Bei den
Straßen ist das anders: Die Bundesfernstraßen insgesamt (also BAB und
Bundesstraßen) umfassen von der Streckenlänge her weniger als ein Viertel der
Straßen des überörtlichen Verkehrs (zusätzlich Landes- und Kreis-straßen).
Nicht eingerechnet sind dabei die Gemeindestraßen, die insgesamt noch einmal
fast doppelt so lang sind wie alle Straßen des überörtlichen Verkehrs zusammen.
Bezogen auf die ‘Nettoausgaben für das Straßenwesen’ in Deutschland hat der
Bund einen Anteil von 1/3 bis ¼ an den Gesamtausgaben von 31,7 Mrd. DM (1996).
Das heißt, dass selbst wenn der Bund tatsächlich gleichviel Geld in den Bau von
Schienen und Straßen stecken würde, wird insgesamt in Deutschland weit mehr
Geld für Straßenbau als für Investitionen in das Schienennetz ausgegeben!
4. Selbst bei
einer Gleichheit der Ausgaben für beide Verkehrswege wäre das Resultat jedoch
weiterhin ungleich: Selbst mit der höheren Summe für die Schienenwege sollten
2.200 km für Geschwindigkeiten über 200 km/h und insgesamt 4.300 km neu- und
ausgebaut werden, während es bei den Bundesfernstraßen für weniger Geld zu
2.200 km neuen Autobahnkilometern, 2.600 ausgebauten Autobahnkilometern und
7.100 km neu- und ausgebauten Bundesstraßen reicht! Ursache dieses
Mißverhältnis war die Konzentration der Bahn auf die überproportional teuren
Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecken-Standards, während Investitionen in die
Nahverkehrs-Infrastruktur nach wie vor zu kurz kommen[1].
Da ein BVWP weder einen rechtlichen
Status noch eine rechtliche Grundlage hat sondern lediglich ein
Planungsinstrument der Bundesregierung ist, gibt es auch keine rechtlich
verbindlichen Regeln. Sowohl der Gültigkeitszeitraumes eines BVWP als auch
Fortschreibungen oder eine mögliche frühzeitige Überarbeitung unterliegen
allein politischen Entscheidungen. So ist der aktuelle BVWP'92 bis zum Jahr
2012 gültig, obwohl diese bisher "jeweils für einen überschaubaren Zeitraum
(i.d.R. von ca. 10 Jahren)" aufgestellt wurden. Verbindlich ist aber eine
alle fünf Jahre stattfindende Überprüfung der Bedarfspläne (mit der die
rechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Festlegung des Bedarfs ausgeräumt
werden sollen). Vom Ergebnis dieser Überprüfung wird eine Fortschreibung des
BVWP abhängig gemacht. Die Überprüfung der Bedarfspläne wurde dieses Jahr
(Schiene) bzw. 1998 (Straße) abgeschlossen. Die Ergebnisse wurden nach Angaben
des BMVBW bereits im Investitionsprogramm 1999-2002 berücksichtigt und werden
in den neuen BVWP einfließen. Festzuhalten bleibt, dass der Ex-Verkehrsminister
Wissmann die Entscheidung über die Fortschreibung des BVWP'92 der neuen
Regierung überlassen hat. Das ‘alte’ BMV hat allerdings bereits umfangreiche Vorarbeiten
vorgenommen, u.a. Aufträge für neue Gutachten vergeben und sich durchaus
umfassend über (unten diskutierte) neue Ansätze zur 'Verbesserung' der
Bundesverkehrswegeplanung informiert.
Im Koalitionsvertrag der rot-grünen
Regierung[2]
wurde festgelegt, dass der Bundesverkehrswegeplan "zügig zu
überarbeiten" ist. Ziel ist "die Verlagerung möglichst hoher Anteile
des Straßen- und Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraßen". Um die dazu
notwendige "Modernisierung des Schienennetzes voranzutreiben, streben
[sie] an, die Investitionsmittel für Straße und Schiene schrittweise
anzugleichen". Das hört sich zwar ganz gut an, aber letztlich war die
Verlagerung von Verkehr auf Schiene und Wasserstraßen auch das Ziel des
BVWP'92, das dieser aber völlig verfehlt hat (s.u.).
Darüber hinaus wird eine Überarbeitung
im Gegensatz zu einer einfachen Fortschreibung des BVWP gefordert, allerdings
bleiben die Aussagen sehr allgemein: "Dies gilt für die zu
aktualisierenden Verkehrs- und Preisprognosen, die Bewertungsmaßstäbe, die
verkehrsträgerübergreifenden Integrationseffekte und für die Sicherstellung der
Finanzierbarkeit einschließlich der Folgekosten.“
Daran anschließend heisst es: "Bis
zum Abschluß der Überprüfung des Bundesverkehrswegeplanes wird es bei im Bau
befindlichen Maßnahmen keine Bauunterbrechung geben. Bereits vergebene Aufträge
werden ausgeführt." Dies wird von den Umweltverbänden und dem grünen
Koalitionspartner gerne so interpretiert, dass alle (bis zu 30 Jahre alte)
Planungen nochmals überprüft werden sollen. Diese Ansicht wird allerdings nicht
von allen geteilt: Eine Umfrage des BUND bei den Landesverkehrsministern Ende
1998 ergab jedenfalls, dass diese keinen Grund sahen, die bisherige Praxis zu
ändern. Einige Länder bemühten sich sogar schnell um eine Reihe von
Spatenstichen, um bei möglichst vielen Maßnahmen den offiziellen Baubeginn
herzustellen und dadurch eine neue Überprüfung zu vermeiden. Das BMVBW
beabsichtigt mittlerweile, alle Massnahmen, bei denen am 1.1.2000 ein
Planfeststellungsbeschluss oder ein ähnlicher Beschluss vorlag, nicht erneut zu
überprüfen. Ausnahmen sind zulässig, „wenn sich aus wichtigen Gründen eine
neuerliche Bewertung geradezu aufdrängt“ - was immer das heissen soll.
Kritisiert werden am BVWP meistens die
darin enthaltenen, geplanten Maßnahmen, die in ihrer Summe aus
umweltpolitischer Sicht einem Horrorkatalog gleichen. Bei einem
Finanzierungsdefizit von über 100 Mrd. DM ist aber selbst dem alten BMV klar
gewesen, dass bei weitem nicht alle Planungen realisiert werden können -
zumindest nicht in einem überschaubaren Zeitraum.
Diese völlige Überfrachtung des BVWP'92
ist ein wesentlicher Kritikpunkt. Damit zusammen hängt das politische
Verfahren, dass in einem de facto Aushandeln der zu bauenden Projekte zwischen
BMVBW und den Bundesländern bzw. den Landesverkehrsministern besteht und
letztlich, um allen die ‘Hoffnung’ auf ihre Projekte zu lassen, zu dieser
Überfrachtung führt. Sehr aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die
Listen mit den Anmeldungen für Straßenbauprojekte der Ländern für den neuen
BVWP. Deren Realisierung würde bei derzeitigen Finanzierungrsaten in einigen
Ländern locker bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts reichen.
Der zweite wesentliche Kritikbereich
ist das Verfahren, mit dem die Bauwürdigkeit der Projekte überprüft wird. Die
tatsächliche Bedeutung des Verfahrens ist aber zumindest fraglich, da die
Ergebnisse dieser Nutzen-Kosten-Analyse (NKA) im politischen
Entscheidungsprozeß in einigen Fällen völlig über den Haufen geworfen wurden.
Das heisst aber nicht, dass das Verfahren nicht relevant ist, deswegen wird es
im folgenden zunächst vorgestellt. Grundlage ist das Verfahren, auf dessen
Grundlage der BVWP’92 erstellt wurde, da die Ergebnisse der aktuellen Überarbeitung
der Methodik noch nicht offiziell vorgestellt wurden.
Zu den offiziellen Zielen der
Bundesverkehrswegeplanung gehört tatsächlich auch die "Schonung von Natur
und Landschaft", doch im Mittelpunkt stehen eindeutig die
"Verbilligung der Beförderungsprozesse" und die "Verkürzung von
Fahrtdauern", deren 'Nutzen' im Rahmen der NKA den überwiegenden Anteil zur "Bauwürdigkeit" der
Projekte beiträgt.
Dahinter steht eine einseitige
Orientierung an dem Ziel des Wirtschaftswachstums, das sogar noch vor dem Ziel
des Wohlstands genannt wird. Dabei wird weitestgehend außer acht gelassen, dass
gesellschaftlicher Wohlstand auch etwas mit intakter Natur zu tun hat, das
unberührte, nicht von Verkehrswegen durchschnittene Naturräume, auch zum
gesellschaftlichen Wohlstand beitragen. Das Ministerium sieht dies natürlich
anders, es ist wie einst unter Wissmann auch unter Müntefering und Klimmt der
Auffassung, dass seine Investitionspolitik praktizierter Umweltschutz ist.
Die von der Bundesregierung
beschlossenen CO2-Reduktionsziele gingen in den BVWP’92 nur indirekt
über eine "wahrscheinliche Erhöhung der Nutzerkosten in den verschiedenen
Verkehrszweigen" in das Verfahren ein, wurden aber nicht als ein Anlaß zum
Nachdenken über möglicherweise notwendige Verkehrsbeschränkungen angesehen.
Vielmehr geht das BMVBW weiter fast unbeirrt davon aus, dass die BVWP eine
quasi gottgegebene Verkehrsnachfrage mit entsprechenden Verkehrswegen zu
befriedigen habe. Dahinter steht die simple - aber leider falsche - Logik des
‘mehr Straßen (bzw. ICE-Strecken) bedeuten mehr Verkehr bedeutet mehr
Wirtschaftswachstum bedeutet mehr Wohlstand’ - Verkehr ist positiv und
sinnvoll!
Ziel der NKA ist, die geschätzten Kosten
einer Maßnahme deren voraussichtlichen volkswirtschaftlichen Nutzen
gegenüberzustellen - Nutzen und Kosten werden also monetär bewertet. Höchst
problematisch ist die Tatsache, dass dabei einzelne betriebswirtschaftliche
Kosteneinsparungen (z.B. durch Fahrzeitverkürzungen) umstandslos zu einem
volkswirtschaftlichen Nutzen aufaddiert werden. Selbst die Verkürzung privater
Fahrten wird in Einsparungen in DM umgerechnet.
Die sog. Bauwürdigkeit einer Maßnahme
ergibt sich, wenn das Nutzen-Kosten-Verhältnis größer als eins ist, also der
Nutzen die Kosten übersteigt. Aber nur wenn das Verhältnis größer drei ist,
wird eine Maßnahme in den "vordringlichen Bedarf" aufgenommen.
Aufgrund der Überfrachtung des BVWP'92 haben praktisch nur solche Projekte
Aussicht auf Realisierung innerhalb des Gültigkeitszeitraumes, die in den
"vordringlichen Bedarf" eingestuft wurden.
Ein Kritikpunkt ist, dass das Verfahren
vom BMVBW (unter Zuhilfenahme von Gutachtern) durchgeführt wird und die
Untersuchungen in wesentlichen Teilen nicht öffentlich gemacht werden
("verwaltungsinterne Unterlagen") - das Prozedere also demokratisch
praktisch unkontrolliert abläuft. Ein zweiter Kritikpunkt ist die Schätzung der
Kosten für den Bau der Verkehrswege, da hierbei nur veraltete Durchschnittskosten
verwendet werden. Alle weiteren wesentlichen Kritikpunkte beziehen sich auf die
'Berechnung' der Nutzen und die fehlende Einbeziehung der externen Kosten.
Bevor jedoch die einzelnen Punkte
kritisiert werden, verdient schon das Verfahren an sich eine kritische Würdigung, da dabei z. T. schwerwiegende
methodische Fehler auftraten:
1. In einem
ersten Schritt werden im Modell die geplanten Verkehrswege dem bestehenden Netz
hinzugefügt.
2. Unter der
Annahme der Realisierung dieser Maßnahmen werden in Abhängigkeit von
gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Massnahmen verschiedene
Verkehrsprognosen erstellt.
3. Die
‘wahrscheinlichste’ Prognose wird als Berechnungsgrundlage festgelegt.
4. Auf Grundlage
dieser Prognose wird dann die NKA durchgeführt, wobei eine wesentliche Annahme
ist, dass sich Verkehrsströme durch neue Verbindungen nur verlagern.
5. Die Entlastung
der zuvor genutzten Verbindung geht - neben der Verbilligung und Beschleunigung
der Verkehre - als Nutzen in die NKA ein.
6. Belastungen
durch die neuen Maßnahmen, vor allem durch deren Bau, gehen nicht in die NKA
ein, sondern sie können nur nach Abschluß der NKA bei "ökologischen
Problemhäufungen" zurückgestuft werden.
Die Maßnahmen werden nur zu einem
kleinen Teil vom BMVBW vorgeschlagen, welches sich dafür von den Bundesländern
den Vorwurf einer zentralistischen Planung gefallen lassen muss. Denn das
'Vorschlagsrecht' sehen die Bundesländer auf ihrer Seite - zumindest für
Bundesfernstraßen[3]. Dadurch
fehlt für diese aber eine deutschlandweite Netzbetrachtung, von einer
verkehrsträgerübergreifenden Betrachtung ganz zu schweigen.
Die Verkehrsprognosen wurden in der
Vergangenheit oft als überhöht kritisiert, wobei aktuelle Zahlen diesen Schluß
leider nicht zulassen. Nicht nur die Bevölkerungszahlen sind heute weit höher
als angenommen, vor allem die stark kritisierte 95ig-prozentige Steigerung des
Straßengüterfernverkehrs von 1998 bis 2010 wurde bereits 1998 übertroffen
(s.u.)! Auch die Zahlen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) liegen gut im Trend des dem BVWP’92 zugrunde
gelegten "moderaten Szenarios", das von leichten Eingriffen bzw.
Beschränkungen für den Straßenverkehr bei gleichzeitiger Angebotsverbesserung
im Schienenverkehr ausging. Festzuhalten bleibt, dass es keine Verlagerung auf
Schiene und Wasser gegeben hat, im Gegenteil, Straßenverkehr und Luftfahrt
steigen weiter kräftig und schneller an!
In den folgenden Tabellen sind rechts
die für den BVWP'92 gerechneten drei Szenarien (darunter das der Planung
zugrundegelegte - fett gedruckte - "moderate" Szenario) und links die
realen Daten von 1988 bis 1998 dargestellt. Die Zahlen von 1998 beruhen auf
Schätzungen des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München Ende 1998.
Kurz nach ihrer Veröffentlichung wurde die Statistik umgestellt, so dass nur
noch der Straßengüterverkehr erfasst wird. Ob es einen Zusammenhang mit der
Überschreitung der Prognose gibt, kann man nur vermuten. Interessant ist
jedenfalls, dass diese Überschreitung vom Ministerium geleugnet wird.
Güterverkehr (in Mrd. Tonnenkilometer):
Prognosen 2010
Verkehrsmittel: 1988 1996 1997 1998
Trend Moderat Restriktiv
Straßengüterfernverkehr 122 214 237,2
251,5 257 238 161
Eisenbahn 125 67,7 72,9
75,5 177 194 265
Binnenschifffahrt
63 61,3 62,2 65,0
114 116 126
Personenverkehr (in Mrd. Personenkilometer):
Prognosen 2010
Verkehrsmittel: 1988
1996 1997 1998 Trend Moderat Restriktiv
Eisenbahn 62 64,8
64 62,2
74 88 114
Flugzeug 14 26,2 28
29,2 33 34
28
MIV 647 748,5 757,5 766,4 885 838 765
Öffentlicher
Stras- 87 76,6
76,2 76,1
96 110 138
senpersonenverkehr
Ist 1988 jeweils
inklusive den Werten der ehemaligen DDR!
Quelle: Daten 1988
und Prognosen aus dem BVWP'92, ansonsten vom ifo-Institut, 1996 und 1997 Ist,
1998 Schätzung.
Bei diesem Verfahren gibt es äußerst
fragliche Berechnungen. Der "Planfall", also die prognostizierte
Verkehrsmenge auf der neuen, geplanten Verkehrsstrecke, wird zur Berechnung
immer mit einem "Vergleichsfall" verglichen. Dabei ergibt sich das
Problem, dass der zur Berechnung des jeweiligen Nutzens herangezogene
Vergleichsfall z.T. absolut unrealistische Annahmen beinhaltet. Das kommt
daher, das die unter Annahme des Baus prognostizierten Zahlen im Vergleichsfall
auf das aktuell bestehende Netz von Landstraßen umgelegt werden. Deren
Kapazität kann die prognositizierten Verkehrsmengen z.T. aber unmöglich
aufnehmen - aber unbeiirt davon wird deren Entlastung als volkswirtschaftlicher
Nutzen berechnet.
Das heisst aber nichts anderes, als
dass es sich bei diesen überhöhten Ver-kehrsmengen um induzierten - also durch
den Bau eines Verkehrsweges neu entstehenden - Verkehr handelt[4],
dessen Vorkommen im BVWP’92 beharrlich geleugnet bzw. auf einen "zu
vernachlässigenden Anteil von unter zehn Prozent" reduziert wurde. Im Juni
1999 haben allerdings die ‘Haus-Gutachter’ des BMVBW von PLANCO ihren
Endbericht zur Überarbeitung der Methodik vorgelegt und darin auch den
induzierten Verkehr berücksichtigt. Alle jedoch, die bisher gehofft hatten,
dass durch die Einbeziehung des induzierten Verkehrs in die NKA die errechneten
Nutzen erheblich sinken würden, haben die Perfidie der NKA noch nicht in Gänze
erfasst: Statt geringerer Nutzen ergibt sich i.d.R. sogar ein höherer Nutzen!
Ursache ist, dass induzierter Verkehr nicht mit sinnlosem Verkehr gleichgesetzt
werden kann, sondern ebenso einen ‘Nutzen’ hat wie alle anderen Verkehre auch.
Dieser Nutzen übersteigt aber die ‘berechneten’ zusätzlichen Umweltbelastungen,
da die einzelnen Faktoren sehr unterschiedlich gewichtet sind und der
Schwerpunkt eindeutig auf der Reisezeitverkürzung und deren Folgen liegt.
Zu allererst ist also die Gewichtung
der Faktoren zu kritisieren, ebenso problematisch ist allerdings, das die
betrachteten Verkehre nicht absolut, sondern nur relativ betrachtet werden.
Ausgangspunkt der Untersuchungen ist immer die bestehende bzw. sogar die
prognostizierte Verkehrsmenge. Bei der NKA werden dann nur die relativen
Veränderungen zwischen Planfall und Vergleichsfall betrachtet. Nur dadurch kann
in der Praxis der NKA z.B. eine Umgehungsstraßen wegen der Verlagerung
bestehender Verkehrsströme durch die Entlastung der Ortskerne von Lärm und
Abgasen insgesamt zu einer Entlastung der Umwelt beitragen. Dabei 'zählen'
Menschen aber nur als Bewohner ihrer Häuser - die Belastungen von
Spaziergängern auf der einstmals ruhigen Wiese oder gar Flora und Fauna selber
bleiben außerhalb der Kostenanalyse.
Es gibt keine Betrachtung der absoluten
Verkehre - weder unter ‘Nutzenaspekten’ noch aus Umweltsicht, deswegen ist es
aber auch nicht möglich, in das bestehende Verfahren Ziele zu integrieren oder
voranzustellen. Gänzlich fehlen Parameter, die z.B. eine Bevorzugung der
Schiene beinhalten, da es keine echte Verkehrsträgerübergreifende Betrachtung
gibt. Um beides zu integrieren, müsste das Verfahren gänzlich umgestellt
werden, genau das aber hat Ex-Minister Klimmt abgelehnt. Eine weitere
interessante Aussage des PLANCO-Gutachtens ist, dass der induzierte Verkehr
„überwiegend im Nahverkehr entsteht“, obwohl die Aufgabe der
Bundesverkehrswegeplanung die Regelung des übergeordneten Verkehrs ist. Die Aussage,
dass Bundesfernstrassen zu einem großen Teil dem Nahverkehr dienen ist
allerdings so neu nicht, nur wird das selten offiziell bestätigt - aus Sicht
der Länder verständlich, denn schliesslich könnte der Bund bei den Ländern
einen Eigentanteil einfordern.
Ebenfalls außerhalb der NKA blieb im
BVWP’92 die mit dem Bau eines Verkehrsweges verbundene direkte Naturzerstörung,
angeblich weil "der noch große Maßstab der Bundesverkehrswegeplanung (...)
ganz generell noch keine Aussagen (erlaubt), die ausreichend wären, um Art und
Ausmaß von Eingriffen und die Wirksamkeit von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen
abschließend gegeneinander abzuwägen. Die endgültige Beurteilung der
Umwelteffekte ist erst bei weiterer Verfolgung des Planungsziels auf den nachgeordneten
Ebenen der Linienbestimmung und Planfeststellung möglich. Das heißt, dass auf
der Ebene des BVWP in der Regel weder eine Verträglichkeit noch eine
Unverträglichkeit eines Projektes bezüglich der Umwelt ausgesprochen werden
kann". Im bereits vorgestellten PLANCO-Gutachten wird nun ein Vorschlag
zur Einbeziehung des Verbrauchs an Natur und Landschaft gemacht. Bei dem
durchgerechneten Demonstrationsbeispiel einer Straße vermindert dies den
Gesamtnutzen um ganze 0,35%. Das Beispiel entlarvt zumindest alle Beteuerungen
von der gleichberechtigten Berücksichtigung der Umweltbelange.
Vor allem eine sehr umfassende Studie
des UBA von 1998 zeigt Lösungsmöglichkeiten zu einer Vielzahl mit der BVWP
verbundener Probleme auf. Das erwähnte PLANCO-Gutachten ist in vielen Bereichen
eine Auseinandersetzung mit den Vorschlägen, die in der UBA-Studie gemacht
wurden. In dieser Studie finden sich sehr detaillierte Ausführungen zur
differenzierten Einbeziehung von Schadstoff-emissionen - vor allem zur
Einbeziehung der Risiken Sommersmog, Krebs und Treibhauseffekt in die NKA.
Darüber hinaus wird eine flächenhafte Definition von Lärm-Raumtypen zur
umfassenden Bewertung von Verkehrslärm und die Festlegung von Ausschlußräumen
zum Schutz ökologisch besonders wertvoller Bereiche vorgeschlagen, die wichtige
Impulse für die Weiterentwicklung der BVWP geben können.
Während die NKA weitgehend
nachvollziehbaren Regeln folgt, bleiben die politischen Verhandlungen um die tatsächliche, endgültige Einordnung der
einzelnen Projekte in die verschiedenen Dringlichkeitsstufen völlig im Dunkeln
und entziehen sich damit jeglicher demokratischer Kontrolle. Nicht nur, dass bereits
die Projektanmeldung fast ausschließlich durch die Bundesländer erfolgt - auch
die abschließende Einstufung der Projekte wird in 'bilateralen' Verhandlungen
zwischen dem BMVBW und den einzelnen Bundesländern festgelegt. Dabei stehen
aber oft Prestigeobjekte im Vordergrund und die gesamtdeutsche bzw. europäische
Netzbetrachtung wird - gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz - nicht genügend
berücksichtigt. Daraus ergibt sich u.a. die Forderung nach mehr demokratischer
Kontrolle und Transparenz des Verfahrens.
Sehr aufschlußreich waren die
Beratungen über den BVWP’92 im Bundestag und dessen Verkehrsausschuß, an deren
Ende die Verlängerung des ursprünglich vorgesehenen Gültigkeitszeitraums um
zwei Jahre bis 2012 stand. Durch diesen Schachzug konnte der Gesamtinvestitionsrahmen
gegenüber dem Entwurf um 25,8 Mrd. DM erhöht werden, wodurch 188 Projekte neu
in den "vordringlichen Bedarf" aufrückten - bei nur acht
Rückstufungen! Dabei konnten einzelne Projekte von der Kategorie "Kein
Bedarf" (Kosten-Nutzen-Verhältnis <1) oder "weiterer Bedarf"
(K-N-V >1) in die Kategorie "vordringlicher Bedarf" (K-N-V >3)
und umgekehrt rutschen, wodurch die "international anerkannte"
Nutzen-Kosten-Analyse zur Farce gemacht wird und den Maßnahmen des
"vordringlichen Bedarfs" die beständig hervorgehobene
wissenschaftliche Legitimation durch die NKA abgesprochen werden kann!
Ein Grund für diese Umstufungen
innerhalb der Reihung der Projekte nach der NKA sind die festen Länderquoten,
die es bei der Bundesverkehrswegeplanung ebenso gibt wie bei allen anderen
Geldern, die der Bund an die Länder verteilt. Im Verkehrsbereich wird diese
Quote durch die Frage Flächenstaat-Stadtstaat sowie durch das Relief bestimmt.
Nur durch letzteres ist zu erklären, wieso Bayern und Baden-Württemberg regelmäßig
überproportional viele Projekte und Gelder bewilligt bekommen.
Text zur Verfügung gestellt vom BUND/ Gerrit Schrammen
Internet: www.bund.net
Vielen Dank für die Unterstützung!
[1] Durch die langsam steigende Zahl der Streckenausschreibungen im Nahverkehr und einige erfolgreiche Streckensanierungen und Betrieb dieser durch nicht-DB-Bahnunternehmen, ist in diesen Bereich in der letzten Zeit etwas Bewegung gekommen. Unter anderem verfolgt die DB mittlerweile Strategien zur Verlagerung der Verantwortung für Nahverkehrsstrecken in die Regionen (REGENT bzw. RegioNet), wovon zwischen ¼ und der Hälfte des Streckennetzes der DB betroffen sind.
[2] Eine
leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist für die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands von zentraler Bedeutung. Die Investitionen in Verkehrswege und
Umschlagplätze sind deshalb zur Umsetzung der ökonomischen und ökologischen
Ziele in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren, das die
Voraussetzungen für die Verlagerung möglichst hoher Anteile des Straßen- und
Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraßen schafft.
Der Bundesverkehrswegeplan ist in diesem
Sinne zügig zu überarbeiten. Dies gilt für die zu aktualisierenden Verkehrs-
und Preisprognosen, die Bewertungsmaßstäbe, die verkehrsträgerübergreifenden Integrationseffekte
und für die Sicherstellung der Finanzierbarkeit einschließlich der Folgekosten.
Bis zum Abschluß der Überprüfung des Bundesverkehrswegeplanes wird es bei im Bau befindlichen Maßnahmen keine Bauunterbrechung geben. Bereits vergebene Aufträge werden ausgeführt.
[3] Für Bundesfernstraßen sind die Bundesländer in Form der Landesverkehrsministerien, bei Eisenbahn und Wasserwege jeweils Bundesbehörden für die Planungen inkl. der Planfeststellungsverfahren zuständig.
[4] Induzierter Verkehr bezeichnet solche Verkehre, die es ohne den neuen Verkehrsweg nicht gegeben hätte. Hintergrund ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass das Zeitbudget, das Menschen für ihre Fortbewegung aufwenden, sich in den letzten hundert Jahren kaum verändert hat. Eine neue, ‘schnellere’ Verkehrsverbindung führt somit nur in erster Linie dazu, dass die Menschen in deren Einzugsgebiet schneller zur Arbeit oder zum Einkaufen in der Innenstadt gelangen. In der Folgezeit werden aber viele weiter aus der Stadt heraus ziehen, damit das Umland weiter zersiedeln und letztlich ebenso lange zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren wie vormals (sog. sekundärer induzierter Verkehr). Primärer indizierter Verkehre sind entweder schlicht zusätzliche Fahrten oder solche, die vorher zu Fuß oder per Rad unternommen wurden.